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Lieblingsstücke

Lernen am Vorbild

  • von Tanja Samson
  • 19 Juli, 2011

Karl Valentin soll mal gesagt haben: „Man braucht Kinder nicht zu erziehen, sie machen einem sowieso alles nach.“ In meiner naiven Sicht der Dinge ging ich wie selbstverständlich davon aus, dass sich die positiven Verhaltensweisen ganz von allein übertragen. Und dass möglichst schnell und auch sofort, also nach 1-10 Mal vorleben. Gut, manches braucht halt länger. In den letzten 13 Jahren habe ich es zum Beispiel nicht geschafft, meine höfliche und allzeit freundliche Haltung meinen Mitmenschen gegenüber ganz nebenbei und selbstverständlich auf meinen Sohn zu übertragen. Mein Mann versucht es ab und zu noch mal verstärkend mit konsequenten Verhaltenshinweisen – mit mäßigem Erfolg. In Sachen Höflichkeit bei Tisch ist unser Sohn bisher noch nicht über ein „Kann ich mal die Butter?“ hinausgekommen. Auch der Konjunktiv findet noch keinen Einzug. „Dürfte ich mal, könnte ich vielleicht, bitte, danke, gerne“; diese Vokabeln lassen sich in seinem Wortschatz bei aller Geduld einfach nicht verankern. Nachbarn, Bekannte und Verwandte haben sich mit seinem schnell in den noch nicht vorhandenen Bart gemurmelten „Hallo“ als Begrüßung arrangiert, die maximale Konversation beläuft sich auf:„Wie geht’s? „Gut“. Passt schon.

Über Nacht hat eine Metamorphose stattgefunden. Denn ich habe jetzt ein Iphone. Mit Spracherkennung. Offiziell Siri genannt. Eine Funktion, die Frau nicht braucht, aber serienmäßig halt dazugehört. Aber Sohnemann ist natürlich ganz angetan, Siri mit lauter und deutlicher Stimme sprachlich einwandfreie und ganze Fragesätze zu übermitteln. „Könntest Du mir bitte sagen, ob ich heute einen Regenschirm benötige?“ Und Siri antwortet mit ihrer blechernen Automatenstimme, dass es heute in der Region um München ein sehr sonniger Tag wird. Und wenn Siri eine Frage nicht beantworten kann, bietet sie an, im Web danach zu suchen. Ist meinem Sohn aber gar nicht so wichtig. Seine Antwort kommt freundlich, laut und deutlich: „Nein, danke!“

Na ja, genaugenommen bin ich ja wirklich immer für höfliche Konversation. Aber mir würde es im Leben nicht einfallen, einem sprachgesteuerten Gerät mit „Nein, danke“ zu antworten.

Es gibt wiederum Situationen, die benötigen nur ein einziges Mal vorleben, um wunderbar abgeschaut zu werden. In der Ausführung so geschehen letzte Woche. Unser Hund war ausnahmsweise über Mittag auf Ausflug mit den Nachbarn. Mich wunderte, dass unser Sohn bei seiner Rückkehr aus der Schule nicht direkt das freudige Empfangsritual unserer Fellnase vermisste. Als er nun so gar keine Anstalten machte, mich zu fragen, wo denn unser Hund sei, hielt ich es nicht mehr aus und wollte ihn meinerseits locken. Bereits bei der Äußerung meiner Frage „Fällt Dir eigentlich gar nichts auf?“ war mir klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Es war zu spät. Ohne von seinem Teller aufzusehen kam die prompte Antwort:  Ach, Du warst beim Frisör!“

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